Die digitalen Reaktoren der 58 französischen Kernreaktoren von EDF treten am Freitag, den 1. Januar 2021, offiziell in eine neue Entwicklungsphase ein. Das Ziel ist einfach: Bis Ende 2023 soll ein ergonomischer und benutzerfreundlicher Prototyp eines digitalen Reaktors zur Verfügung stehen. Zu diesem Zweck haben sich acht Organisationen unter der Leitung von EDF zusammengeschlossen, um ihre Kompetenzen in den Bereichen Technik, Informatik und Physik zu bündeln. Zoom auf eines der größten Projekte zur Bündelung des Fachwissens der Akteure des französischen Nuklearsektors.
Digitale Reaktoren seit 2018 erprobt
Im Jahr 2016 berichtet EDF über seine neue Strategie zur Digitalisierung seiner Aktivitäten. In ihrem Plan zur Digitalisierung der Kernkraftwerke nimmt die Entwicklung digitaler Zwillinge einen wichtigen Platz ein. 1 Jahr später erstellen die Ingenieure den ersten digitalen Zwilling einer Kernkraftwerkseinfassung nach dem VeRCoRs-Modell im Maßstab 1:3. Ziel ist es, aus den zugänglichen Daten des Modells eines echten Kernkraftwerks Kapital zu schlagen. Von einem digitalen Reaktor ist hingegen noch nicht die Rede.
Dafür muss man bis 2019 warten und den ersten Reaktor mit 100% digitalen Kontrollwerkzeugen entwickeln. Der PUR-1 der American School of Nuclear Engineering an derPurdue University in Indiana ist der erste Reaktor, der einen digitalen Klon hat. Dieses Projekt wurde von Ingenieuren der EDF und ihrer Tochtergesellschaft Métroscope entwickelt und kommt einem echten digitalen Reaktor sehr nahe. Gibt es also einen Unterschied zwischen einem digitalen Zwilling und einem digitalen Reaktor?
Was ist der digitale Reaktor?
Ein digitaler Reaktor ist ein digitaler Zwilling, das Gegenteil ist nicht der Fall. Der Unterschied zwischen den beiden liegt im Grad der Ähnlichkeit mit einem echten Kernreaktor. Ein digitaler Zwilling ist eine digitale Schnittstelle zum Abrufen von Daten, ein digitaler Reaktor ist auch ein Simulator. Es ist eine “digitale und funktionelle Nachbildung eines Kernkraftwerks”, erzählt uns Benoît Levesque, Leiter des F&E-Projekts von EDF.
An einem digitalen Reaktor können die Bediener so in der virtuellen Realität üben, wie sie die Wartungs- oder Betriebsaufgaben eines Kernreaktors ausführen. Zur gleichen Zeit und mit dem gleichen Werkzeug können die Ingenieure das Verhalten und die Umgebung desselben Kernreaktors untersuchen. Der Zweck des Projekts besteht also darin, die Sicherheit und den Betrieb von Kernreaktoren zu verbessern, indem ihr Verhalten numerisch antizipiert wird.
Im Zentrum der Digitalisierungsstrategie der Nuklearindustrie
Die am 1. Januar begonnene Phase wird es ermöglichen, die Entwicklung digitaler Reaktoren zu beschleunigen, damit die ersten bis 2025 eingesetzt werden können. Im Rahmen des PSPC haben sich neun Akteure zusammengeschlossen, unter anderem EDF, das Commissariat à l’énergie atomique et aux énergies alternatives (CEA) und Framatome. Das Ganze steht unter der Schirmherrschaft des Groupement des industriels français de l’énergie nucléaire (GIFEN), in dem die Unternehmen der Branche zusammengeschlossen sind, sowie des Kompetenzzentrums für die Nuklearindustrie Nuclear Valley.
Die 186 Spezialisten aus EDF, Framatome und CEA haben nun vier Jahre bis Ende 2023 Zeit, um eine ergonomische und benutzerfreundliche Schnittstelle zu entwickeln. Die erste Schwierigkeit besteht darin, die Technologien und das Fachwissen der verschiedenen beteiligten Akteure in einer einzigen homogenisierten Schnittstelle zusammenzuführen. Die zweite Schwierigkeit besteht in der Entwicklung einer vollständigen Individualisierung der digitalen Reaktoren. Ursprünglich hatte EDF jedoch die Entwicklung einer einzigen gemeinsamen Schnittstelle geplant, die teilweise an die verschiedenen Kernreaktoren angepasst werden konnte.
Wenn das Projekt erfolgreich ist, kann EDF dann internationale Absatzmärkte ins Auge fassen, insbesondere für die 250 Kernreaktoren, die sie derzeit weltweit betreibt und/oder wartet.
Sich an der französischen Energiestrategie beteiligen
Wie die Anzahl der Reaktoren, die von EDF weltweit betrieben und/oder gewartet werden, ist das französische Know-how im Bereich der Kernenergie also weltweit anerkannt. Von den 2600 Großunternehmen, KMU und Kleinstunternehmen in diesem Sektor exportieren mindestens 50 % ihr Fachwissen. Der 3ᵉ Industriesektor des Landes erhält dann Unterstützung von der Regierung, die angekündigt hat, 472 Millionen Euro in die französische Atomindustrie zu investieren.
Dieses Großprojekt ist dann Teil einer Doppelstrategie zur Digitalisierung und zur Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit der französischen Nuklearindustrie. Für EDF und die beteiligten Organisationen bedeutet diese große Herausforderung mit kurzer Laufzeit, dass sie ihr Know-how festigen können. Außerdem soll ein besserer Schutz vor den Risiken nuklearer Anlagen und eine stärkere Berücksichtigung der Digitalisierung bei der Transformation des Sektors gewährleistet werden.
Die digitale Transformation der französischen Nuklearindustrie ist im Übrigen eine der Entwicklungsachsen, die im Strategievertrag für die französische Nuklearindustrie verankert ist. Der Vertrag wurde am 28. Januar 2019 unterzeichnet und wird dazu beitragen, das französische Know-how im Nuklearbereich zu erhalten. Allgemeiner gesagt, die nukleare Energiepolitik des Landes konkret umzusetzen.